Für den legendären Sessel „F51“, den Architekt und Bauhaus-Pionier Walter Gropius in den Zwanziger Jahren für das Direktorenzimmer im Bauhaus Dessau entwarf, standen Quadrat und Würfel Design-Pate. Obwohl der F51 optisch kompakt war, verlieh ihm der damals neue Kragarm-Träger dennoch einen leichten, fast schwebenden Charakter. Der Polstersessel reihte sich zusammen mit der „Wagenfeld-Lampe“ und dem „Wassily-Stuhl“ in die bis heute unsterblichen Klassiker jener Ära ein.
Weil aber auch Ikonen manchmal mit der Mode gehen müssen, beauftragte Hersteller Tecta anlässlich des 100. Geburtstags des Bauhaus 2019 junge Kreative, die den F51 und andere ausgewählte Klassiker des Bauhauses neu interpretieren sollen.
Den Anfang macht Möbeldesignerin und Professorin für Produktdesign Katrin Greiling. Die gebürtige Münchnerin zeigt wie die Flächen und Farbtöne der Sessel-Ikone neu gedacht werden können. Dafür verwendete sie Stoffe, die der belgische Modeschöpfer Raf Simmons für die Textilmanufaktur Kvadrat entwarf. Inspiriert von Wolle, Twill und Tweed entstand eine Kollektion, deren Texturen und Farbtöne den Transfer zu zeitgenössischem Mobiliar schaffen.
Was war Ihr erster Gedanke zur Veränderung?
Katrin Greiling: Ich habe mir überlegt: Wie würde ich den Sessel in einem zeitgenössischen Mobiliar sehen? Ich wollte den Stuhl nicht neu entwerfen, sondern den gegebenen Rahmen aus Fläche, Textur und Farbe neu interpretieren und proportionieren.
Welcher Aspekt spielte bei dem Entwurf eine große Rolle?
Der Körper des F51 lässt sich unterschiedlich wahrnehmen. Er besteht aus Holz- und Polster-Oberflächen. Mich beschäftigte die Frage: setzt man diese Flächen kontrastreich gegen- oder harmonisch miteinander? Farbe spielt in meinen gesamten Entwürfen eine große Rolle. Durch Farbe lässt sich das Auge leiten, lassen sich Proportionen gewichten, Formen hervorheben oder zurückhalten. Die textilen Arbeiten von Gunta Stölzl begeistern mich schon lange. Sie war Zeitgenössin von Walter Gropius und Leiterin der wichtigsten Werkstatt am Bauhaus – der Weberei.
Haben Stölzls Arbeiten Sie konkret weiter inspiriert?
Gunta Stölzls Arbeiten inspirierten mich, um mit monochromen und gemusterten Oberflächen, der Struktur des Webstoffes und einer differenzierten Farbwahl weiter zu arbeiten. Um die taktilen Stoffe von Kvadrat zu kontrastieren, wählte ich für die hölzernen Elemente des Sessels einen Lack in Hochglanzoptik, der die darunterliegende Materialstruktur verbirgt. Inspiration hierfür sind die traditionellen, japanischen Gefäße und Objekte, die mit Urushi lackiert sind. Hier stehen die Materialien in starkem Kontrast zueinander und ergeben als Ganzes ein harmonisches Möbel.
Gibt es einen Bezug zwischen Ihrer Arbeit und der Idee Bauhaus?
Der Zugang zum Handwerk spielt eine bedeutende Rolle und ist tonangebend für die späteren Entwürfe. In der Lehre lege ich großes Gewicht auf das Verständnis von Material und Konstruktion. Meine eigene Ausbildung gestaltete ich ähnlich, vor dem Möbeldesignstudium in Stockholm studierte ich zwei Jahre Möbelschreinerei. Dort war – wie im Bauhaus – die Werkstatt der Arbeitsplatz.
Lässt sich an einem Klassiker noch etwas optimieren?
Der F51 ist eine Ikone, deshalb ergab sich nicht die Frage, an der Form zu arbeiten, sondern die Konzentration auf die Oberflächen. Also die weichen, gepolsterten sowie die harten, konstruktiven Flächen. Ich habe das Möbel auseinandergenommen und geschaut: Wie kann ich in diesem präzisen, vorformulierten Rahmen etwas modifizieren? Es ist der Versuch, das Möbel aus der Zeit zu holen und in einen zeitgenössischen Rahmen zu integrieren, so dass man das Alter von 100 Jahren nicht ablesen kann. Dabei war es wichtig, den F51 in der Basis zu belassen, damit er von Tecta im regulären Produktionsfluss weiter hergestellt werden kann.
Katrins Greilings Entwürfe sind mit zahlreichen Design Awards ausgezeichnet, zugleich war die 40-Jährige an vielen internationalen Projekten und Ausstellungen beteiligt. 2010 etwa an der ersten „Wallpaper Handmade“-Ausstellung des Magazins Wallpaper. 2012 gehörte sie zu den ausgewählten Designern für die „Halingdal 65“-Ausstellung von Kvadrat. Zusammen mit Etienne Descloux entwickelte sie 2014 das „Freunde von Freunden“-Appartement von Vitra – ein Showroom und Event Space in Berlin. Zuletzt hat sie mit Kinnasand kooperiert: In Mailand war im April die Ausstellung „Structures“ zu sehen, die das Interface zwischen Teppich und Objekt erforschte.
Fotos: Magdalen Lepka; HGEsch (4)