Paradiesisch: Fotograf Jan Schuenke über seinen Kulinarik-Trip nach Grenada

Ich sitze in einem Minivan und fahre mit Roger auf einer so inseltypischen, kurvigen Straße aus St. George’s ins wilde Hinterland. Draußen ziehen bunte Geschäfte und Häuser vorbei, es ist lebendiger als daheim in Deutschland. Roger zeigt aus dem Fenster auf ein exponiertes Gebäude, thronend auf einem Berg, mit dem wohl besten Blick über die Hauptstadt. „Das ist unser Gefängnis. Es heißt ,Ihre Majestät‘.“ Ich lache, bin verblüfft über die Lage und versuche mir den Ausblick von dort oben vorzustellen.

Blick vom Gefängnis auf St. George’s

Wenige Tage vor meiner Abreise aus Deutschland hatte ich mich gefragt, wie es sich nach zwei Jahren Pandemie wohl anfühlen wird, wieder mit Ticket und Kameraausrüstung am Airport zu stehen. Wie riecht es, wenn ich aus dem Flugzeug steige? Mit welchen Emotionen werde ich dieser fremden Kultur und ihren Menschen begegnen? Was ich vor Corona in meinem Leben als selbstverständlich, oder zumindest als gängig erachtet hatte, wird wieder zu etwas Besonderem.

Während wir mit dem Van weiter über die Landstraße holpern, erzählt Roger, dass im Gefängnis heute 100 Häftlinge sitzen, davon nur vier Frauen. Zu Kolonialzeiten war es mal ein reines Frauengefängnis, wie ironisch. Kurz darauf fahren wir tatsächlich bis vor die Pforten der Anstalt. Von hier hat man wirklich den besten Blick auf eine der schönsten Hafenstädte der Karibik, sogar besser als der vom darüber liegenden Fort Matthew.

Fahrer Roger, Steel Drum Band

Grenada wurde lange von den Franzosen besiedelt, worauf die Engländer kamen, um einige Jahre später wieder von den Franzosen abgelöst wurden. Im Frieden von Paris (1783) wurde die Insel erneut den Engländern zugesprochen, die den Inselstaat schließlich bis 1974 als Kronkolonie verwalteten. Das Erbe sieht und spürt der Besucher überall. Heute ist die größte Insel der Grenadinen ein unabhängiges Land mit dem wohl geringsten Einfluss der ehemaligen Besatzer – im Vergleich zu den meisten anderen Inseln der Karibik. Die Bewohner, die mehr als sieben Religionen angehören, sind stolz hier leben zu können.

Besonders dankbar sind die Grenader für die reiche Vegetation der Insel, und die fast verschwenderische Vielfalt an Früchten, Gewürzen und Gemüse. Auf Grenada gibt es keine großen Farmen, keine Massentierhaltung, keine Monokulturen. Alles wächst direkt vor den Häusern, im eigenen Garten oder bei kleinen Bauern. Viele davon haben sich für den Vertrieb zu Kooperativen zusammengeschlossen. Auf ein Bio-Siegel kommt es hier nicht an, denn die gesunden Böden kommen ganz ohne Dünger und Pestizide aus.

Farmer mit Straßenstand

Ein Beispiel dafür ist die Farm von James*. Direkt neben der Straße hat er einen kleinen Shop aufgebaut, um Gewürze, Gemüse und Obst gewinnbringend an die Touristen zu verkaufen. Sein Garten geht nahtlos in den darum liegenden Regenwald über. Auf den ersten Blick ist kaum zu erkennen, was hier alles wächst. Was James seit vielen Jahren anbaut, ist schier endlos: von Gewürznelken, Vanille, Lorbeer und Zimt, bis zu Kaffir-Limetten, Zitronen, Orangen, dreierlei Mangos, Ananas und Okraschoten. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen, alles wächst auf knappen 150 Quadratmetern rund um sein kleines Holzhaus herum. Ich höre ihm gerne zu, rieche, probiere und schmecke. Zum ersten Mal kann ich Gewürzpflanzen, die bisher nur als gemahlenes Pulver kannte, in ihrer ganzen Pracht bestaunen.

Lady in a red dress

Zum Schluss unserer Inseltour erzählt mir mein Fahrer Roger natürlich noch vom Stolz der Insel, der Muskatnuss, der „Lady in a red dress“, wie sie auf der Insel gerne genannt wird. Der Name rührt von dem roten Samenmantel her, welcher sich um die eigentliche Nuss spannt und um ein Vielfaches teurer ist, als der uns bekannte Same. Die Muskatnuss ist das Symbol Grenadas und auch auf der Flagge zu finden. Verwendet wird sie hier in einer ganz anderen Art: viel großzügiger, in einer Vielzahl von Getränken und Speisen. 

Koch Joachim mit traditionellem Oil-Down-Gericht

Unterwegs fällt mir immer wieder auf, wie sehr die Menschen eine tiefe Verbindung zu ihrem Essen und den so lebensnotwendigen Pflanzen haben. Überall auf der Insel höre und begegne ich diesem Thema. Unser Guide Garth spricht von Mulberry-Tee bei Fieber, Zimt als Aphrodisiakum, oder „Oil Down“ dem grenadinischen Nationalgericht, eine Art Eintopf mit reichhaltiger Einlage und Kokosmilch. Voller Begeisterung spricht er von mehrtägigen Festessen in der Weihnachtszeit und dem gemeinsamen Kochen in der Familie. 

Kakoafarm Tri-Island Chocolate

Oder Aaron, der aus Großbritannien zurückgekommen ist, um die Kakaofarm seiner Großmutter zu übernehmen. In London hatte er zuvor die PR für Bands wie U2 geleitet, und doch zog er seine heimatliche Vegetation den Lichtern der Metropole und den Bühnen dieser Welt vor. Heute stellt Aaron viel lieber seine eigene Schokolade her und vermarktet sie unter dem Namen Tri-Island Chocolate. Sein Slogan: „bean to bar“, zu Deutsch: von der Bohne bis zur Tafel.

Tower Estate

Ein anderes Beispiel ist Belinda, auf die ich zwei Tage später beim Abendessen im Tower Estate, einem historischen Anwesen in den Hügeln von St. George’s, treffe. Sie sitzt auf einer alten Chaiselongue und unterhält sich vertraut mit Isabelle, der Gastgeberin des Hauses. Die Ausstrahlung der beiden Frauen ist angenehm ruhig und klar. Wir sprechen über ihre gemeinsamen Kochkurse (Flavours of Grenada) und Inseltouren, mit denen sie das Wissen über die einheimischen Wildpflanzen an künftige Generationen weitergeben wollen. Ich bin sofort Feuer und Flamme, steige mit ein und stelle fest, dass jede menschliche Begegnung auf Grenada auch immer eine Begegnung mit der Natur ist.

Isabelle und Belinda (v.l.)

Wie so oft in den letzten Tagen verspüre ich im Tower Estate eine ganz neue Lust am Reisen. Für mich ist Grenada nicht mehr nur eine beliebige Karibikinsel, die wunderschöne Strände hat. Es sind die Menschen, ihre offene Gastfreundschaft und ihr Sinn für die Natur, die diesen Ort für mich so besonders machen. Anscheinend sind die Menschen hier wirklich ein wenig glücklicher.


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Fotos & Text: Jan Schuenke

*Name von der Redaktion geändert